Das Zusammenspiel von Farbe und Antlitz zeugt von zwei Wesenhaftigkeiten, die einander Medium sein können. Das Übersinnliche beider will in Erscheinung treten. Mit ihren Bildern ist Jasminka Bogdanović auf der Suche nach einem Weg dorthin. Ihre Ausstellung im Goetheanum und ihr Bildband lassen uns daran teilhaben.
Bei Cézanne ist es mir zuerst aufgefallen: die Farbigkeit des Antlitzes. In Cézannes Porträts findet man Grün, Blau, Rot, Gelb als eigenständige, vorsichtige und doch sichere Farbsetzungen. Schaut man von dort auf das Angesicht eines lebendigen Menschen, so zeigt sich auch dieses viel farbiger als zuvor; Cézanne malte, was er sah. Es verlangt Übung und Aufmerksamkeit, Farbe im Gesicht des Gegenübers zu sehen – und nicht allein von dessen Antlitz-Anwesenheit vereinnahmt zu werden.
Farben oder Gesicht?
Farben geben den Erscheinungsgrund, in den sich das Antlitz hineinsenken kann – beim Porträt und beim lebenden Menschen. Wie kann es gelingen, die Farben in ihrer Lebendigkeit aufrechtzuerhalten, sodass das übersinnliche Licht des Antlitzes überhaupt erst als Erscheinung (und nicht als Gegenstand) erfahren werden kann? Und andersherum: Wie stellt sich das Antlitz in die Farbe hinein, sodass das Licht im Blick nicht zum gefrorenen Augenblick gerinnt? Und weiter: Wie kann es gelingen, das Ganze des Gesichtes zu bewahren, sodass es nicht in eine Vielheit von Farbtupfern zerfällt – oder wie ein aus Nase, Mund, Wangen und Augen Zusammengesetztes erlebt wird und nicht als ein alle Glieder in sich aufnehmender übersinnlicher Organismus. Und: Wie kann es gelingen, im gemalten Bild – trotz aller Farbigkeit – die Ruhe des menschlichen Antlitzes zu bewahren? Und zuletzt: Das Bild soll ja das Wesen des Porträtierten erscheinen lassen. Aber gerade ein Porträt kann, wenn auch knapp, so doch unerbittlich an der Persönlichkeit des Gemeinten vorbeizielen.
Mit all diesen Herausforderungen konfrontieren die im Zentrum des Bildbandes von Jasminka Bogdanović stehenden Porträts.
Farbe – Porträt – Kaspar Hauser
Der auf weißem, seidenmattem Papier gedruckte Band leuchtet: vorne auf dem Einband mit einem intensiven Türkisblau, auf der Rückseite mit einem Selbstporträt der Malerin in ihren Kindheitsjahren und beim Aufschlagen durch die aus dem Buch hervorspringenden Gemälde. Zu Beginn lädt dieser Kunstband ein, in das Leben der frei schwebenden, objektungebundenen Farben einzutauchen. In den weit mehr als monochromen Farbmeditationen werden die Farben zum Bild ihrer selbst. «Farbe ist der an der Außenwelt fixierte Gemütsinhalt», so Rudolf Steiner (GA 279), und dieser Gemütsinhalt ist meditativ in der sinnlichen Begegnung aufzusuchen.
Nach einem solchen Einstieg in die Welt der Farben, in ihre Eigenarten, in ihre Ruhe- und Atemräume kann im zweiten Teil der Schritt zu den Porträts gemacht werden, in denen die Schwebe zwischen Farbe und Antlitzlicht gesucht wird. «Der Blick des Menschen ist das reine Licht», so die Malerin selbst. Immer wieder treten ihre Porträts wie auf einem bewegten Vorhang hervor, scheinen sich irgendwo zwischen Betrachter und Leinwand halten zu können.
Abgeschlossen wird ‹Farbe und Porträt› durch einen Kaspar-Hauser-Zyklus, in dem die von der Künstlerin angemahnte Verwandtschaft von Kunst und spielendem Kind im Schicksal Kaspar Hausers Gestalt annimmt. Das Drama der verhinderten Persönlichkeitsentwicklung tritt uns entgegen – einerseits. Andererseits hat in diesem Schicksal geschichtlich ein erwachsener Mensch noch die Reinheit der kindlich-staunenden Weltwahrnehmung bewahrt und erlebt – mit all dem Beglückenden, aber auch mit all der Bitternis dieser Tragik.
Malende Forschung
Den Bildern stehen Texte namhafter Autoren zur Seite: Claudia Törpel führt ein ausführliches und einfühlsames Interview mit der Malerin. Wolf-Ulrich Klünker, Roland Wiese und Urs Näf führen ihre lesenswerten Gedanken zur Kunst anhand der Bilder von Jasminka Bogdanović aus: Ist das Bild Vorbild für Wirklichkeit überhaupt? Ist abstrakte Kunst konkret und darf dann Kunst eigentlich noch gegenständlich sein? Wo ist die Realität des Bildes – zwischen Wahrnehmung, seelischem Erleben und geistiger Begegnung? Das sind Fragen, mit denen sich diese Texte beschäftigen. Sie fragen aber auch nach der Sinnlichkeit und der Übersinnlichkeit des Bildes. Salvatore Lavecchia vertieft in einem sehr komprimierten Text vor dem Hintergrund ostkirchlicher Tradition die Serie ‹Hommage an Studenica›. Und Werner Barfod und Beate Krützkamp schildern ihre Erfahrungen als Porträtierte.
Bogdanovićs künstlerische Fähigkeiten werden durch dieses Buchprojekt dokumentiert. Gerade auf dieser Grundlage kann sie Forscherin in ihrem Metier, kann sie malende Forscherin sein – auch das dokumentiert ‹Farbe und Porträt›. «Künstlerische Tätigkeit und Fertigkeit ohne Erkenntnisfrage tendieren zum Manierismus und zur ästhetischen Belanglosigkeit […]. In diesem Sinne rücken heute Wissenschaft und Kunst nahe zusammen», so Wolf-Ulrich Klünker in seinem Textbeitrag zum Buch. ‹Farbe und Porträt› zeigt die malerische Kunst als Forschung zwischen Erfahrung, Schaffen und Verstehen, zwischen der Kunst der Moderne und der forschenden Suche nach einer Kunst der Zukunft.
Hans-Christian Zehnter
Erschienen in: „Das Goetheanum“ Ausgabe 49 vom 6.12.2019